Wollen, können, durchhalten

So ein Editorial ist ja immer auch eine Momentaufnahme, liebe Leser. Dass sich speziell in diesem Jahr die Momente der miesen Stimmung aneinanderreihen, ist wirklich traurig. Deshalb fange ich mal mit zwei positiven Hinweisen an.
In diesem Heft finden Sie garantiert mindestens zwei große Geschichten, die vom Wollen, Können und Durchhalten zeugen. Dabei schimmert durch, dass der menschliche Erfindungsreichtum vielleicht doch noch rechtzeitig die Rettung unserer Biosphäre ermöglichen könnte.
Der erste Bericht ist unsere Titelgeschichte von Georg Kääb: Ein Blick in die Zukunft der Firma BioNTech mit außerordentlich interessanten Aussichten und auch einer Rückschau, auf welchem geistigen Fundament der heutige Weltkonzern erbaut wurde.
In dem zweiten Bericht beschreibt Thomas Gabrielczyk, wie es kommt, dass wir demnächst tatsächlich einen durch Fermentation hergestellten Weichkäse aus Pilzen im Supermarkt kaufen werden können – allen Zulassungsrestriktionen zum Trotz.
In den vergangenen fast drei Jahrzehnten habe ich an dieser Stelle regelmäßig darüber gewettert, dass es keinen Nobelpreis für Biologie gibt – weder vom Herrn Alfred selbst gestiftet noch von einer anderen Organisation. Dass wird meines Erachtens der Bedeutung der modernen Biologie nicht gerecht.
Aber! In diesem Jahr habe ich irgendwo erstmals einen tröstlichen Gedanken gelesen: Wer als Wissenschaftler scharf auf einen Nobelpreis ist, sollte tunlichst Biologe werden. Denn als solcher hat er beste Chancen, in gleich zwei Kategorien zum Zuge zu kommen: in Medizin/Physiologie und in Chemie. In diesem Jahr traf das ganz mustergültig zu.
Die sonstige Lage ist natürlich weiterhin mies. Wohin man auch schaut: wirtschaftlich Rezession, politisch grausame Kriege, durchgeknallte Autokraten, verblendete Theokraten – die rationalen Demokraten wurden wenigstens durch den Nobelpreis für Wirtschaft getröstet. Die exzellente Forschung der drei Gewinner bestätigt den gesunden Menschenverstand: Die Flüchtlinge ziehen natürlich nicht nach Russland, China oder Nordkorea, sondern in die freiheitlichen Demokratien vor allem in Europa oder Nordamerika. Doch auch dort stehen die Systeme unter Druck.
Es ist sehr beunruhigend, dass die Mutter aller Probleme, die Klimakatastrophe, immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird. Monsterstürme in den USA, Überschwemmung und Bergstürze in Europa, ein fast ausgetrockneter Amazonas in Südamerika, Wiederaufflammen von Hungersnöten in Afrika – wieviel Warnungen brauchen wir noch? Die Natur schwindet weltweit. Der Vogelbestand ist hierzulande in den vergangenen 37 Jahren um die Hälfte zurückgegangen. Dafür ein neuer Rekord: Noch nie gab es in Deutschland 49,1 Millionen Autos, 580 Autos pro 1.000 Einwohner.
Größte Sorge der Jungen ist laut der jüngsten Shell-Studie nicht mehr der Klimawandel oder die Umweltverschmutzung, sondern der Krieg. Dank Putin & Co. verlieren wir wertvolle Zeit. Auch Regierungen haben angesichts der ökologischen Lage vielfach völlig irre Prioritäten. Sigmar Gabriel erinnerte dieser Tage in der FAZ an einen Ausspruch von Kurt Schumacher: „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.“ Ach, wäre das schön.