Die Wahl der Qual

Die vorgezogene Bundestagswahl in Deutschland ist natürlich ein Thema erster Güte – vor allem im Hinblick auf Biotechnologie und Life Sciences. Unser Redakteur Thomas Gabrielzyk hat sich die Wahlprogramme diesbezüglich genauer angeschaut, seine Ergebnisse finden Sie in |transkript.
Die Frage „Was soll ich bloß wählen?“ hörte man in den Wochen vor dem Urnengang überall. Ich tröstete meine Bekannten dann immer mit der Hoffnung auf den „Wahl-O-Mat“, der in den zurückliegenden Jahren zumeist gute Einsichten lieferte. Kurz vor der Freischaltung lief im Fernsehen ein kurzes Portrait der zumeist jungen Menschen, die die Fragen zusammengestellt hatten. Das ließ meine Erwartungen noch höher steigen: Sind junge Leute doch mehr an der Zukunft interessiert als an parteipolitischem Gezänk mit dem Blick in den Rückspiegel.
Umso größer war meine Enttäuschung, als ich mich dann selbst durch die 38 Fragen quälte. Was war denn das? Nicht nur die Themenauswahl, sondern auch die Art der Fragen? Norbert Kersting, Professor für vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Münster, erklärte es gut: Die vorgebliche Online-Entscheidungshilfe orientiere sich ausschließlich an den Positionen der Parteien, die diese zu den vorgegebenen Thesen abgeben. Daher also der merkwürdige Fokus der Fragestellungen – sie sollten offenbar nicht den Wähler zum Nachdenken bringen, sondern genau zu einer Partei passen. Die durch 38 geteilte Summe wird dann als Ergebnis ausgeworfen. Was für ein trauriger Rückschritt. In meinem Fall übrigens mit einem entsprechenden Ergebnis: Die Partei, der ich angeblich am nähesten stehe, würde ich niemals wählen – und kann das auch genau begründen.
Hinzu kommt, dass Themen, die nicht in Parteiprogrammen stehen, auch gar nicht vorkommen. Das ist besonders schmerzlich, denn schließlich war die Politik der vergangenen Jahre ja vor allem dadurch negativ geprägt, das die Parteien sich viel zu viel um die Interessen ihrer jeweiligen Klientel kümmerten – die wirklich wichtigen Fragen von Gegenwart und Zukunft des Gemeinwohls einschließlich Wirtschaft und Sicherheit aber vernachlässigten. Zumal die Bestellung von Führung durch den Kanzler zumeist in ein „Nö“ mündete.
So scheint es denn ein Kennzeichen dieser Zeit der unsozialen Medien zu sein, dass das „Staatsmännische“ (m/w/d) allerorten fehlt: der seriöse Blick auf das große Ganze über das Hier und Jetzt hinaus. Wäre dies anders, hätte vor allem die Bedrohung unserer Biosphäre durch den Klimawandel im Mittelpunkt des Wahlkampfes stehen müssen. Oder die Frage, wie wir mit der (leider aktuell notwendigen) Fehlallokation unserer finanziellen Mittel auf die Rüstung umgehen. Gutes Regieren bedeutet, auch Unpopuläres durchzusetzen. Auch eine positive Zukunftsvision mit der Biologisierung der Industrie fehlt. Leider!