Die deutsche Biotechnologie-Branche 2015
Zusammenfassung
Ob Umsatz, Mitarbeiter oder Finanzierung – in der deutschen Biotech-Branche stehen die Zeichen auf Wachstum. Noch nie haben die Biotech-Firmen so viel Umsatz erwirtschaftet und so viele Mitarbeiter beschäftigt. Auch das Interesse der Großindustrie an Biotech-Produkten ist weiter ungebrochen – nicht nur in der Gesundheitswirtschaft, sondern auch in der Bioökonomie. Die Zahl der Mitarbeiter in den dedizierten, also hauptsächlich mit Biotechnologie beschäftigten Unternehmen, ist auf 17.930 gestiegen (+ 5,8 %).
Die Zahl dieser Firmen ist auf aktuell 579 gestiegen (+ 1,6 %), die Zahl der Neugründungen (14) lag in etwa auf dem Niveau des Vorjahres (13). Mit insgesamt 14 Neugründungen (2013: 13) und 7 Insolvenzen (2013: 11) überwiegen in diesem Jahr die Zugänge. Die Gründungsdynamik ist damit auf ähnlichem Niveau wie im vergangenen Jahr. Die überwiegende Mehrheit der Startups ist in der Medizin aktiv (10), wobei sich zwei Firmen auf Anwendungen für Tiere fokussieren. Weitere vier Neugründungen können dem Bereich der nicht-spezifischen Dienstleistungen zugeordnet werden, darunter zwei Spin-offs aus dem Freiburger Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK): Die Cytena GmbH hat ein Gerät entwickelt, das Zellen sicher und schonend vereinzelt. Die Ionera Technologies GmbH wiederum setzt auf eine neuartige automatisierte Einzelmolekülanalyse im Hochdurchsatzverfahren. In diesem Jahr gibt es drei Startups, die aus etablierten Biotech-Firmen hervorgegangen sind: Die Tübinger CeGaT GmbH hat sowohl die auf Tierforschung spezialisierte CAG GmbH als auch die CeMeT GmbH mit Fokus Mikrobiomforschung ins Leben gerufen; die Hamburger Immunservice GmbH will ihre immuntherapeutischen Ansätze über die 4Animals Alsterscience GmbH auch bei Pferden anwenden.
Abbildung: Anzahl der deutschen Biotech-Unternehmen
(in blau: dedizierte Biotech-Unternehmen; in orange: sonstige biotechnologisch aktive Unternehmen)
Dass staatlich initiierte Gründungsinitiativen einen Einfluss auf die Gründungsdynamik haben können, zeigen nicht nur die zwei Neugründungen Imevax GmbH und Rigontec GmbH. Sie sind aus Siegerprojekten des BMBF-Wettbewerbs GO-Bio hervorgegangen. Die LMU-Ausgründung MetaHeps GmbH wurde wiederum gezielt durch eine Pre-Seedförderung des Münchener Spitzencluster m4 unterstützt und hat zudem eine Förderung durch das BMWi-Programm EXIST erhalten. Die Neuway Pharma GmbH ist die erste Ausgründung aus dem Life Science Inkubator am Bonner Forschungszentrum caesar, während die Berlin Cures GmbH als erste Ausgründung des Berlin Institute of Health gelten kann. Die meisten Unternehmensgründer kamen 2014 aus Baden-Württemberg (5), gefolgt von Bayern (3), und Nordrhein-Westfalen (3) sowie Hamburg (2) und Berlin (1).
Das Durchschnittsalter der deutschen Biotech-Firma liegt bei mittlerweile elf Jahren. Aber einige Firmen haben inzwischen auch ein für die risikoreiche Branche respektables Alter von dreißig Jahren und mehr erreicht. Mit dem wachsenden Alter der Unternehmen relativiert sich auch der Einfluss des BMBF-initiierten BioRegio-Wettbewerbs in den 90er Jahren. Aus heutiger Sicht hat knapp ein Drittel (29 %) der Firmen in Folge dieses Wettbewerbs zwischen 1996 und 2001 eine Geschäftstätigkeit aufgenommen. Bei der geografischen Verteilung der Firmen hat sich im Jahr 2014 keine wesentlichen Veränderungen gegenüber dem Vorjahr ergeben. Nach wie vor befinden sich die meisten Unternehmen in Bayern (104) und Berlin-Brandenburg (95). Baden-Württemberg (92) hat sich durch die große Zahl an Neugründungen an Nordrhein-Westfalen (89) vorbeigeschoben.
Mitarbeiterstruktur
Mit Blick auf die Mitarbeiterzahlen ist die Biotechnologie-Branche ein dynamischer Arbeitsmarkt. Für leichtes Wachstum sorgten die 131 sonstigen biotechnologisch aktiven Firmen. Dazu gehören unter anderem Konzerne aus der Pharma-, Chemie- und Lebensmittelindustrie. In den biotechnologisch ausgerichteten Bereichen dieser Unternehmen waren im Jahr 2014 insgesamt 19.200 Mitarbeiter tätig. Gegenüber dem Vorjahr (2013: 18.450) entspricht dies einem Plus von 4 %. Auch bei den dedizierten Biotechnologie-Unternehmen ist die Anzahl der Mitarbeiter deutlich gestiegen. So waren im Jahr 2014 insgesamt 17.930 Mitarbeiter in den 579 dedizierten Biotech-Unternehmen Deutschlands beschäftigt. Das Plus zum Vorjahr beziffert sich auf 5,8 %. Damit waren im Jahr 2014 insgesamt 37.130 Menschen (+ 4,9 %) in der kommerziellen Biotechnologie beschäftigt, so viele wie noch nie zuvor (2013: 35.400).
Abbildung: Anzahl der Mitarbeiter in deutschen Biotech-Unternehmen
(in blau: in dedizierten Biotech-Unternehmen; in orange: in sonstigen biotechnologisch aktiven Unternehmen)
Die geografische Verteilung der Arbeitsplätze in der Biotechnologie lässt sich anhand der Anzahl der Unternehmen in den einzelnen Bundesländern ableiten. Die Zuwächse haben sich über alle Bundesländer hinweg mehr oder weniger gleichmäßig ergeben. Am meisten zugelegt haben Nordrhein-Westfalen (+210), Baden-Würtemberg (+190) sowie Bayern und Hamburg mit jeweils einem Plus von 140 Mitarbeitern. In der Rangfolge der mitarbeiterstärksten Bundesländer hat es damit jedoch keine Verschiebungen gegeben. So sind die meisten Arbeitnehmer von dedizierten Biotechnologie-Unternehmen nach wie vor in Nordrhein-Westfalen (3.890) angesiedelt, wobei hier die größten deutschen Biotech-Unternehmen Qiagen und Miltenyi für die Masse an Beschäftigten verantwortlich sind. An zweiter und dritter Stelle folgen Bayern (3.520) und Baden-Württemberg (2.770). Mit 1.500 Arbeitsplätzen konnte Hessen seinen vierten Platz in der Rangfolge festigen. Es wird gefolgt von Berlin (1.440) , Hamburg (940), Brandenburg (810) und Rheinland-Pfalz (650). Auf relativ ähnlichem Mitarbeiter-Niveau liegen die Bundesländer Sachsen (520), Niedersachsen (510) und Mecklenburg-Vorpommern (480) sowie die Bundesländer Sachsen-Anhalt (340), Schleswig-Holstein (200) und Thüringen (200).
Abbildung: Regionale Verteilung der deutschen Biotech-Unternehmen und der Mitarbeiter im Jahr 2016
Ein Blick auf die durchschnittliche Größe der dedizierten Firmen zeigt, dass die Mehrheit immer noch sehr klein ist. Fast jede zweite Firma (44,7 %) zählt weniger als zehn Mitarbeiter, aber ihr relativer Anteil sinkt, was für eine wachsende Reife der Branche spricht. Im Jahr 2013 lag der Anteil der kleinsten Biotech-Firmen noch bei 46 %. In etwa gleich geblieben ist die Anzahl an Unternehmen (40,4 %), die zwischen zehn und fünfzig Mitarbeiter beschäftigen. Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern sind nach wie vor die Ausnahme, aber ihre Anzahl wächst kontinuierlich. Konnten 2013 nur 30 Firmen dieser Kategorie zugeordnet werden, so gehörten 2014 schon 35 Firmen zu dieser Spitzengruppe. Neun – eine Firma mehr als 2013 – davon zählen mehr als 250 Beschäftigte und sind damit dem Status der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) entwachsen. Qiagen ist mit deutschlandweit 1.400 Mitarbeitern das größte Unternehmen. Rang zwei belegt die auf medizinische Zelltechnologien fokussierte Firma Miltenyi Biotec (1.060 Mitarbeiter). Der Biopharmaka-Auftragshersteller Rentschler Biotechnologie aus Baden-Württemberg rangiert mit 580 Mitarbeitern weiterhin auf Platz drei.
Inhaltliche Schwerpunkte der Unternehmen
Wer sich mit den inhaltlichen Schwerpunkten der deutschen Biotech-Branche beschäftigt, der sieht ein seit Jahren unverändertes Bild: Die Entwicklung von Medikamenten, Impfstoffen oder von neuen diagnostischen Methoden steht nicht nur hierzulande im Fokus der meisten Biotech-Unternehmen. 287 Firmen (49,6 %) sind dem Feld der „roten“ Biotechnologie zuzurechnen – eine über die Jahre konstante Zahl. Innerhalb der medizinischen Biotechnologie in Deutschland haben sich allerdings verschiedene Arbeitsschwerpunkte etabliert und über die Jahre Verschiebungen ergeben. Gestiegen ist 2014 die Zahl der Unternehmen, die sich mit neuen diagnostischen Anwendungen beschäftigen. Sie liegt aktuell bei 82, fünf Firmen mehr als 2013. Die große Masse der Firmen in der medizinisch orientierten Biotechnologie befinden sich entweder noch im präklinischen Bereich der Therapeutika-Forschung oder bieten eine Technologieplattform als Dienstleistung im Bereich Gesundheit an. Auch hier ist im Jahr 2014 die Zahl dieser Firmen um vier auf 154 Unternehmen gestiegen. Dies zeigt die wachsende Bedeutung, die breit anwendbare Technologieplattformen – entweder bezogen auf Wirkstoffklassen oder auf Indikationen – inzwischen in der Arzneimittelentwicklung haben. Gerade in Deutschland sind die Firmen hierbei offenbar gut aufgestellt. Positiv ist zudem einzuschätzen, dass 2014 auch wieder die Zahl derjenigen Firmen gewachsen ist, die bereits ein oder mehrere Produkte ab der klinischen Phase I in der Pipeline haben. Sie hat mit 51 Unternehmen zwar noch nicht das Niveau von 2012 (55) erreicht, ist aber gegenüber dem Vorjahr (48 Firmen) immerhin um drei gestiegen.
Mit 186 Firmen ist ein großer Teil der Branche (32,1 %) nach wie vor in keinem speziellen Feld aktiv (2013: 188). Hierzu gehören alle Unternehmen, die ausschließlich oder überwiegend Dienstleistungen für andere Biotech-Firmen erbringen oder als Zulieferer für diese tätig sind. In die von der OECD definierte Kategorie der nicht-spezifischen Anwendungen gehören auch reine Auftragsproduzenten von biologischen Molekülen ohne eigene Entwicklungsaktivitäten. Damit ist dieses Segment das zweitwichtigste der Branche.
Gemessen an der reinen Anzahl der Firmen stagniert der Anteil der industriellen oder „weißen“ Biotechnologie in Deutschland. 2014 waren hier insgesamt 57 Firmen tätig, ein Unternehmen weniger als noch im Vorjahr. Inhaltlich beschäftigten sich die hier gezählten Unternehmen z. B. mit der Entwicklung von technischen Enzymen, mit neuen Biomasse-Verwertungsstrategien oder anderen biotechnologischen Produktionsprozessen unterschiedlicher Industrien.
Zum zweiten Mal wurde auch die Spezialisierung dieser Unternehmen erfasst (Mehrfachzuordnungen waren möglich). Demnach ist der Großteil dieser Firmen immer noch im Bereich Nahrungs-/Futtermittel (34) und Pharmaproduktion (30) aktiv. An Bedeutung gewonnen hat offenbar die Kosmetik-Branche (20), sie hat sich 2014 an der Chemie (18) vorbeigeschoben. Auch für die Energie-Branche (13) waren 2014 mehr Firmen als noch 2013 aktiv. Dies zeigt auch, dass die Bedeutung der industriellen Biotechnologie deutlich größer einzuschätzen ist, als die kleine Gruppe an hier aktiven Firmen vermuten lässt. Denn in allen genannten Industriesektoren findet derzeit ein Wandel in Richtung biobasierte, nachhaltige und ressourceneffiziente Wirtschaft statt – der zum großen Teil von technologischen Neuentwicklungen der industriellen Biotechnologie getragen wird.
Eine weitere wichtige Säule für das biobasierte Wirtschaften stellen Landwirte und Pflanzenzüchter dar. So kann die Pflanzenbiotechnologie u. a. zur Entwicklung von robusteren Nutzpflanzen beitragen, die in Zeiten des Klimawandels nicht nur hierzulande dringend gebraucht werden. Dem Anwendungsfeld der „grünen“ Biotechnologie sind in Deutschland insgesamt 19 Firmen zuzurechnen. Im Vergleich zum Vorjahr ist dieser Sektor etwas geschrumpft (2013: 21). Ähnlich wie bei der industriellen Biotechnologie wird das Feld mehrheitlich von Großunternehmen dominiert, die langwierige Entwicklungen und Zulassungsprozesse schultern können, in der Statistik aber bei den sonstigen biotechnologisch-aktiven Unternehmen auftauchen. Sowohl die „weiße“ als auch die „grüne“ Biotechnologie sind damit der Teil der Branche, der für den nachhaltigen Wandel und für den Aufbau einer Bioökonomie eine wichtige Rolle spielt.
Mit 30 Unternehmen (5,2 %) gibt es zudem in Deutschland eine stetig wachsende Gruppe, die sich vorrangig mit Bioinformatik beschäftigt. Diese ist beispielsweise bei der Entwicklung individualisierter Behandlungsstrategien von Bedeutung. So erfordern moderne Hochdurchsatzverfahren die systematische Erfassung und Analyse immer größerer medizinisch relevanter Datenmengen. Ganze Genome einer steigenden Zahl von Menschen sind bereits sequenziert, liegen als Datensätze vor und können für Ärzte und Patienten in therapierelevante Informationen verarbeitet werden. Gleiches gilt im zunehmenden Maße für andere Informationsebenen, wie das Epigenom, das Proteom oder das Metabolom. Gerade letzteres erfährt in der Biotech-Branche ein wachsendes Interesse, da zunehmend verstanden wird, wie sich Veränderungen im Metabolom auf unterschiedlichste Krankheitsausprägungen auswirken können. Die Informationswissenschaften liefern den Hebel, um das Potenzial dieser Datensätze für prognostische, diagnostische und therapeutische Anwendungen zu nutzen. Sie stellen damit eine essentielle Basis für die Entwicklung individualisierter Behandlungsstrategien dar und sind einer der wichtigsten Treiber der Biotech-Branche. Aber auch in Landwirtschaft und Agrarwissenschaften erfordern neueste Verfahren – etwa die automatisierte Phänotypisierung und die Präzisionszüchtung – eine immer umfassendere Auswertung von Daten. Auch hier bietet die Bioinformatik ein wertvolles Werkzeug, um das Wissen effizient zu nutzen und einzusetzen.
Klinische Pipeline
Wie viel Potenzial in einer Technologie oder einem Forschungsansatz steckt und welchen Reifegrad ein Unternehmen der medizinischen Biotechnologie bereits erreicht hat, das wird gemeinhin an der Anzahl der Wirkstoffkandidaten und dem Status ihrer klinischen Entwicklung sichtbar. Jeder Schritt und jede Phase hat ihre besonderen Hürden, mit jeder weiteren Entwicklung sind oftmals größere Investitionen und ein höheres Risiko verbunden. Denn ob in Deutschland oder anderswo: Nach Expertenschätzungen kostet die Entwicklung eines neuen Medikaments inzwischen ein bis drei Milliarden Euro und braucht zehn bis fünfzehn Jahre. Und dabei schafft es nur einer von 10.000 Stoffen überhaupt von seiner Entdeckung bis zum Markt.
Vor diesem Hintergrund verrät ein Blick auf die aktuelle Pipeline der deutschen Medikamentenentwicklung immer auch ein wenig über den Reifegrad und die Innovationsfähigkeit der gesamten Branche. Im Jahr 2014 ging es – ähnlich wie bereits im Jahr zuvor – sowohl auf- als auch abwärts. Einige Firmen mussten Entwicklungsprojekte auf Eis legen, anderen gelang ein nächster großer Schritt in Richtung Zulassung. Im Gesamtsaldo verlief das Jahr 2014 jedoch deutlich positiver als das Vorjahr. So befanden sich im vergangenen Jahr insgesamt 97 biologisch aktive Substanzen in einer der drei Phasen der klinischen Entwicklung (2013: 91; 2012: 93), sechs mehr als im Vorjahr. Dies deutet darauf hin, dass die Therapieentwickler wieder genügend finanzielle Ressourcen haben, um ihre klinischen Projekte voranzubringen.
Erfreulich ist vor allem der Anstieg auf 39 (2013: 34) Substanzen in der Phase I. Damit ist der in den vergangenen Jahren zu beobachtende Abwärtstrend bei der Neuaufnahme von klinischen Programmen zunächst gestoppt. Fünf präklinische Projekte haben 2014 den Übergang in die klinische Prüfung geschafft. Dies gilt zum Beispiel für IMAB027 der Mainzer Biotech-Firma Ganymed Pharmaceuticals AG. Der Krebsantikörper zur Behandlung von Eierstockkrebs wurde auf der hauseigenen Ideal-Monoclonal-Antibody-Plattform (IMAB) entwickelt und ist nun der zweite Antikörper der Firma in der klinischen Prüfung. Bewegung gab es auch bei der Heidelberger Firma Affimed, die 2014 den Gang an die US-amerikanische Börse NASDAQ gewagt hat: Eines der auf der hauseigenen TandAb-Technologieplattform entwickelten neuartigen, bifunktionalen Immunmoleküle zur Behandlung von Krebs hat es 2014 in die Phase I geschafft (AFM11), für das andere hat die Phase II begonnen (AFM13).
Die meisten klinischen Kandidaten deutscher Biotech-Firmen sind nach wie vor in der Phase II angesiedelt. Im Jahr 2014 lag die Gesamtzahl bei 49 Wirkstoffen (2013: 48). Dazu gehört zum Beispiel die RNA-basierte Immuntherapie der Tübinger Firma CureVac: der Wirkstoff CV1904 zur Behandlung von Prostatakrebs ist eines von drei Phase-II-Produkten des Unternehmens. Ebenfalls drei Phase-II-Kandidaten haben die Berliner Firma NOXXON, Glycotope und Silence Therapeutics im Portfolio. Ein neues Phase-II-Produkt konnte im Jahr 2014 die Münchner Medigene AG durch die Übernahme des Helmholtz-Spin-offs Trianta für sich gewinnen.
Wenig Veränderung in der Gesamtzahl gab es auch bei den sich in der Phase III befindlichen Wirkstoffen – hier wurden 2014 insgesamt neun Medikamentenkandidaten gezählt (vier Biologika, fünf niedermolekulare Substanzen), genauso viele wie 2013. Dennoch gab es hier einige Bewegung. So sind zwei Kandidaten neu hinzugekommen: Der Kandidat MGN1703 der Berliner MOLOGEN AG hat es 2014 von der Phase II in die letzte Stufe der klinischen Entwicklung geschafft. Die Immuntherapie soll zur Behandlung von Patienten mit metastasierendem Darmkrebs eingesetzt werden. Ebenfalls neu auf der Liste der Phase-III-Kandidaten ist das Präparat LT-02 der Lipid Therapeutics GmbH. Die Ausgründung aus dem Universitätsklinikum Heidelberg hat sich der Behandlung von entzündlichen Darmerkrankungen verschrieben und setzt bei LT-02 auf das Fettmolekül Phosphatidylcholin. Die klinische Studie von LT-02 wird von Dr. Falk Pharma aus Freiburg finanziert und durchgeführt.
Einem Betrugsskandal in den USA ist wiederum das Evotec-Präparat Diapep277 zum Opfer gefallen. Der Diabetes-Wirkstoff wurde ursprünglich schon 2007 von der Göttinger Develogen AG an das israelische Start-up Andromeda Biotech auslizenziert. Mit der Develogen-Übernahme im Jahr 2010 kamen die Rechte an dem Projekt ins Portfolio der Hamburger Evotec AG. Im April 2014 übernahm schließlich der US-amerikanische Wirkstoffentwickler Hyperion Pharmaceuticals die Firma Andromeda – auch um Zugriff auf Diapep277 zu erhalten. Im Herbst wurde die Übernahme jedoch zum Desaster. Hyperion beschuldigte Andromeda Biotech, bei der Entwicklung von Diapep277 zu „unlauteren Mitteln“ gegriffen haben. Hyperion stellte daraufhin die Entwicklung des vom Heat Shock Protein 60 kDa abgeleiteten Moleküls ein und ging gerichtlich gegen die Andromeda-Verantwortlichen vor.
Nicht mehr mitgezählt wird die Entwicklungspipeline des dänischen Biotech-Unternehmens Bavarian Nordic. Die Impfstoffspezialisten forschen zwar auch am Standort München, die hauptsächliche Entwicklungsarbeit der aktuellen Präparate findet hier jedoch nicht mehr statt. Vor diesem Hintergrund taucht der Phase-III-Kandidat Prostvac nicht mehr in der Liste auf. Der 2013 zugelassene Pockenimpfstoff Imvamune wird jedoch nach wie vor bei den zugelassenen Medikamenten mitgezählt, da dessen Entwicklungsarbeit hauptsächlich in Deutschland stattfand. Damit befinden sich – wie bereits im Jahr zuvor – insgesamt zehn in Deutschland entwickelte Biotech-Medikamente auf dem Markt. Der letzte Neuzugang vor Imvamune war 2011 das Produkt Ameluz der Biofrontera AG.
Kooperationen
Egal ob Pharma-, Chemie- oder Nahrungsmittelindustrie –biotechnologische Innovationen sind oftmals deutlich nachhaltiger als althergebrachte Technologien und Prozesse. Sowohl große Konzerne als auch mittelständische Unternehmen haben dies erkannt. Ob und unter welchen Bedingungen sich eine Umstellung rechnet, steht daher vermehrt im Zentrum gemeinsamer F&E-Projekte mit anderen Unternehmen, Forschungseinrichtungen oder Organisatio- nen.
Die 186 Firmen, die in der aktuellen Umfrage Angaben zum Thema Kooperationen gemacht haben, arbeiteten im Jahr 2014 bei knapp 2.000 Projekten mit Partnern aus Forschung oder Wirtschaft zusammen.Etwa ein Viertel (513) aller Kooperationen bezieht sich dabei auf Vorhaben mit Forschungseinrichtungen, um Fragen der Grundlagenforschung zu klären. Aber auch mit der Industrie gibt es vielfältige Verknüpfungen (647). Die berücksichtigten Biotechnologie-Unternehmen selbst unterhalten untereinander 474 Partnerschaften. Kooperationen finden dabei über die gesamte Wertschöpfungskette verteilt statt – mit einem erwartungsgemäß starken Fokus auf Forschung (890) und Entwicklung (519). Deutlich dahinter rangieren Validierungs- (214) und Vertriebskooperationen (414). Beinahe jede zweite industrielle Kooperation erstreckt sich inzwischen über Ländergrenzen hinweg (48,7 %), für Kooperationen mit akademischen Partnern gilt dies für jede vierte (26,7 %).
Finanzierung
Auch im Finanzierungsbereich setzt sich ein Aufwärtstrend fort: Insgesamt rund 445 Mio. Euro wurden 2014 in die deutschen Biotech-Firmen investiert (2013: 401 Mio. Euro). Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein deutliches Plus um 10 %. Aufgeholt haben vor allem die privat finanzierten Firmen, sie konnten ihre eingeworbenen Gelder um 26 % steigern. An der Börse gibt es ein zweigeteiltes Bild: Einerseits haben erstmals wieder deutsche Biotech-Firmen den Gang an die Börse gewagt, andererseits wurde bei den Folgefinanzierungen im Jahr 2014 ein Rückgang um 30 % verzeichnet. Ein Novum auch bei den Fördermitteln: Der Anteil der öffentlichen Förderung ist mit 44 Mio. Euro erstmals in den vergangenen zehn Jahren deutlich um 10 % gesunken (2013: 49 Mio. Euro).
Abbildung: Finanzierungsquellen deutscher Biotech-Unternehmen
Börsenboom erreicht Deutschland
2014 war das Jahr, in dem der US-Börsenboom auch in Deutschland angekommen ist. Erstmals seit 2007 hat sich die Liste der börsennotierten deutschen Biotech-Firmen um drei erweitert. Sie alle wählten jedoch einen Börsengang fernab des Heimatmarktes: Zwei Firmen gingen in die USA (Affimed, Pieris), eine an die Börse in Amsterdam (Probiodrug). Über diese Börsengänge sind Finanzmittel in Höhe von 77 Mio. Euro geflossen. Der Heidelberger Krebsspezialist Affimed ging dabei den Umweg einer niederländischen Holding-Gesellschaft, Affimed Therapeutics BV. Diese konnte an der NASDAQ insgesamt 43,5 Mio. Euro einsammeln, zuvor hatte sich die Firma über eine Finanzierungsrunde und Anleihen noch finanziellen Spielraum in Höhe von rund 22 Mio. Euro in einer Serie E verschafft. Es beteiligten sich die Wagniskapitalinvestoren Aeris Capital, BioMedInvest, LSP Life Sciences Partners, Novo Nordisk A/S und Orbimed. Die Hallenser Probiodrug konnte bei ihrem Börsengang an der Euronext/Amsterdam – trotz damaliger turbulenter Kapitalmärkte – 23,2 Mio. Euro einnehmen. Das Geld soll insbesondere in Probiodrugs Leitprodukt PQ912 sowie den Entwicklungskandidaten PQ1565 fließen. Die niedermolekularen Glutaminyl-Cyclase-Inhibitoren sollen zur Behandlung von Alzheimer eingesetzt werden – ebenso wie der ebenfalls in der Pipeline befindliche monoklonale, gegen Pyroglutamat gerichtete Antikörper PBD-C06.
Evotec und Sanofi schmieden Allianz
Bei den Folgefinanzierungen an der Börse verlief das Jahr 2014 deutlich schlechter als noch 2013. Insgesamt haben die börsennotierten Firmen lediglich 152 Mio. Euro eingeworben (-30%), 2013 waren es noch 218 Mio. Euro. Die höchste Kapitalerhöhung konnte die PAION AG verzeichnen. Sie erzielte einen Nettoemissionserlös von 46,3 Mio. Euro. Dieser soll vorwiegend für die weitere Entwicklung von Remimazolam in den USA und der EU eingesetzt werden. Einen überraschenden Coup vermeldete Ende 2014 zudem die Hamburger Evotec AG. Im Rahmen einer strategischen Allianz mit dem französischen Pharmakonzern Sanofi werden die Deutschen den Sanofi-Standort Toulouse mit rund 200 Mitarbeitern übernehmen.
Bei den privat finanzierten Firmen konnte das Jahr 2014 wieder einen neuen Aufwärtstrend einläuten. Über 18 Finanzierungsrunden wurden insgesamt 172 Mio. Euro an Finanzmitteln eingeworben. Der Wert ist damit um 26 % höher als noch 2013 (137 Mio. Euro), erreicht jedoch nicht die Summe aus dem Jahr 2012 (205 Mio. Euro). Wie bereits im Vorjahr ist mit Ausnahme einer Finanzierung das gesamte Investorengeld in Medikamentenentwickler geflossen. In der industriellen Biotechnologie machte jedoch die BRAIN AG durch zwei Übernahmen auf sich aufmerksam: Im Juli beteiligte sich die Firma mehrheitlich am Naturstoffspezialisten AnalytiCon Discovery aus Potsdam, im November stiegen die Zwingenberger beim Industrieenzymehersteller WeissBioTech GmbH aus Ascheberg mit ein.
Weniger private Investoren
Weniger als noch im Vorjahr wurden die Investments jedoch von den zwei in Deutschland aktivsten Family Offices Strüngmann und Hopp dominiert. Im Jahr 2014 gingen nur fünf der 18 Runden auf das Konto dieser Investoren. Maßgeblich beteiligt waren sie an der größten Finanzierungsrunde des Jahres 2014. Im März hatte die Berliner Firma Glycotope 55 Mio. Euro eingeworben. Das frische Eigenkapital stammt von der zur Strüngmann-Gruppe gehörenden Münchener Jossa Arznei GmbH und der ELSA GmbH des Berliner Investors Andreas Eckert. Genutzt werden soll das Geld für klinische Studien der Phase IIb an den beiden Krebswirkstoffen Pankomab-Gex und Cetugex. Das Fruchtbarkeitshormon FSH-Gex soll zudem in die Phase III überführt werden, um es im Erfolgsfall ab 2017 zu vermarkten.
Über ihre Beteiligungsgesellschaft AT NewTec GmbH sind die Strüngmann-Brüder zudem neu bei der Münchner Isarna Therapeutics GmbH eingestiegen, die 2013 aus der ehemaligen Antisense Pharma hervorgegangen war. Diese konnte 2014 insgesamt 13 Mio. Euro einsammeln. Zu den bestehenden Investoren gehören die MIG Fonds. Das Geld soll vor allem in die weitere klinische Entwicklung von DNA-basierten Wirkstoffen investiert werden. Derzeit hat Isarna zwei Moleküle in der Präklinik.
Frisches Geld holte sich zudem erneut die Curetis AG in Holzgerlingen, die sich mehrheitlich über institutionelle VCs finanziert. Dem Molekulardiagnostik-Spezialisten war es bereits 2011 gelungen, 24 Mio. Euro von Forbion Capital Partners, dem Roche Venture Fonds sowie CD Venture einzusammeln, dem Fonds von Christoph Boehringer. 2013 wurde mit 12,5 Mio. Euro nachgelegt und HBM als neuer Leadinvestor gewonnen. 2014 hat die Firma weitere 14,5 Mio. Euro eingenommen. Dieses Mal hatte sich auch Deutschlands größtes Biotech-Unternehmen Qiagen an der Runde beteiligt. Mit dem Geld soll die weitere internationale Vermarktung des DNA-basierten Testsystems zur Untersuchung klinischer Proben gestärkt werden.
Starthilfe für kleine Firmen
Darüber hinaus konnten sich einige kleinere Firmen eine Startfinanzierung sichern, teilweise mit Unterstützung des mit Bundesmitteln ausgestatteten High-Tech Gründerfonds (HTGF). Dazu gehörte zum Beispiel die Myr GmbH aus Burgwedel, die insgesamt 7,9 Mio. Euro einsammeln konnte. Neben dem HTGF hat hier auch der russische Maxwell Biotech Venture Fund investiert. Die ebenfalls durch den HTGF finanzierte Firma Ayoxxa Biosystems GmbH konnte wiederum eine Serie-B-Finanzierung in Höhe von 11,3 Mio. Euro abschließen. Neben den Altinvstoren um HTGF, KfW, NRW-Bank und Wellington Partners Venture Capital investierten erstmals das Schweizer Investorennetzwerk b-to-v Partner, die Wagniskapitalfinanzierer Creathor Venture und HR Ventures, die BioMedPartners AG, die Grazia Equity GmbH sowie einige private Anleger, darunter der Qiagen-Gründer Detlef Riesner.
Die beiden Startups Imevax aus München und Zellkraftwerk aus Hannover durften sich 2014 jeweils über eine weitere Millionenförderung im Rahmen der BMBF-Gründungsoffensive GO-Bio freuen. Imevax – eine Ausgründung aus der TU München – konnte zudem im Oktober noch eine erste Finanzierungsrunde in Höhe von 7,5 Mio. Euro anschließen. Beteiligt waren Wellington Partners, Bio-MedPartners, EMBL Ventures und Santo Venture Capital, eine Beteiligungsgesellschaft der Strüngmann-Brüder. Ein weiteres GO-Bio-Siegerteam aus Bonn, das mittlerweile als Rigontec GmbH firmiert, hat 2014 ebenfalls eine erste Finanzierungsrunde in Höhe 9,5 Mio. Euro abgeschlossen. Zu den Investoren des RNA-Spezialisten zählten der HTGF und der Boehringer Ingelheim Venture Fund.
Unter Beteiligung der Bayerischen Patentallianz GmbH, der LMU und der Max-Planck-Gesellschaft hat die MODAG GmbH in Wendelsheim eine stattliche Seedfinanzierung in Höhe von 8 Mio. Euro geschafft. Die erst 2014 als Gemeinschaftsausgründung der Ludwig-Maximilians-Universität München und des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in Göttingen ins Leben gerufene Firma hat sich zum Ziel gesetzt, eine neuartige Parkinson-Therapie zu entwickeln. Dafür wurde das Startup auch als Sieger des PEP Award 2014 in der Kategorie „Gründungsprojekte in der Frühphase“ ausgezeichnet. PEP ist ein Promotorenprogramm des BMBF. Ebenfalls in dieser Initiative gewürdigt wurde die NEUWAY Pharma GmbH – die erste Biotech-Ausgründung des Life Science Inkubators am Forschungszentrum caesar Bonn. Über den Inkubator konnte sich das Startup mit Fokus ZNS-Therapien in den vergangenen Jahren 2,3 Mio. Euro Startfinanzierung sichern. 2014 wurde eine Serie-A-Finanzierung in Höhe von 2,7 Mio. Euro unter Beteiligung von Leadinvestor Wellington abgeschlossen.
Eine kleinere Finanzierungsrunde in Höhe von 2 Mio. Euro gelang zudem der Lophius Bioscience GmbH, einem Spin-off der Universität Regensburg mit Fokus T-Zell-Diagnostik. Sie wurde durch den bereits in der Lophius engagierten Lead-investor VRD GmbH, Heidelberg, angeführt und durch den HTGF, die Regensburger Investmentfirma S-Refit AG sowie einen weiteren Altinvestors ergänzt.
Eine kombinierte Seed- und Serie-A-Finanzierung in Höhe von 1,7 Mio. Euro vermeldete der Kölner Impfstoffentwickler CAP-CMV GmbH unter Federführung des von Peppermint VenturePartners (PVP) gemanagten Charité Biomedical Fund. Weitere Investoren der Runde waren NRW.Bank, Creathor Venture, KfW und Privatinvestoren. Das Start-up wurde 2013 von der CEVEC Pharmaceuticals GmbH ausgegründet und fokussiert sich ausschließlich auf die Entwicklung eines neuen Impfstoffes zum Schutz vor Infektionen mit dem humanen Cytomegalievirus (HCMV).
Crowdfunding setzt sich durch
Eine alternative Finanzierungsquelle hat sich im Jahr 2014 wiederum die Oaklabs GmbH erschlossen. Die 2011 gegründete Brandenburger Bioinformatik-Firma hat über die Crowdinvesting-Plattform Seedmatch.de 300.000 Euro eingeworben, die als partiarische Nachrangdarlehen vergeben wurden. Auch die Radebeuler Riboxx GmbH startete 2014 eine Kampagne auf der Plattform und konnte so Anfang 2015 erfolgreich 1 Mio. Euro einsammeln.
All diese Entwicklungen zeigen, dass sich die Finanzierungssituation der Firmen deutlich verbessert hat – aller Kritik an den unzureichenden Rahmenbedingungen zum Trotz. Zum einen sind – auch aufgrund des positiven Trends in den USA und Europa – wieder Börsengänge deutscher Biotech-Firmen möglich. Dies eröffnet Investoren Exitmöglichkeiten und bietet eine Alternative zum Trade Sale. Noch scheint jedoch die Deutsche Börse in Frankfurt für die hiesigen Firmen nicht attraktiv genug. Es bleibt abzuwarten, ob sich dies im Zuge der geplanten Pre-IPO-Plattform ändern wird. Zum anderen hat die Situation der privat finanzierten Firmen im Jahr 2014 einen deutlichen Aufwind erlebt. Zwar wurden kaum große zweistellige Finanzierungsrunden abgeschlossen, doch etlichen vielversprechenden Startups und jungen Firmen gelangen vergleichsweise hohe Serie-A-Finanzierungen unter Beteiligung verschiedenster Investoren. Die noch vor Jahren zu spürende Dominanz der Family Offices ist 2014 erheblich zurückgegangen, vielmehr sind ehemalige Biotech-Gründer, Corporate Venture Fonds und ausländische Investoren vermehrt ins Boot geholt worden. Ein gutes Zeichen ist zudem die positive Entwicklung von staatlich geforderten Gründungsprojekten – sei es über den HTGF, den BMBF-Wettbewerb GO-Bio oder den Life Science Inkubator in Bonn.
Entwicklung der Umsätze und F&E-Aufwendungen
Noch nie haben deutsche Biotech-Firmen so viel erwirtschaftet: Mit 3,03 Mrd. Euro hat der Umsatz erstmals die Marke von drei Milliarden durchbrochen (2013: 2,86 Mrd. Euro). Gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 5,8 %. Die in die Statistik eingeflossenen Erlöse stammen sowohl aus dem Verkauf von Produkten und Dienstleistungen als auch aus Vorab- und Meilensteinzahlungen, die durch Lizenzverträge in die Firmen flossen. Zum ersten Mal seit 2008 sind auch die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) wieder gestiegen (+ 6,2 %). Sie erreichen nun 954 Mio. Euro und liegen damit über den Zahlen von 2013 (899 Mio. Euro) und 2012 (930 Mio. Euro).
Abbildung: Umsatz und F&E-Aufwendungen der deutschen Biotech-Unternehmen
(in blau: dedizierte Biotech-Unternehmen; in orange: sonstige biotechnologisch aktive Unternehmen)
Diese positive Entwicklung zeigt sich auch innerhalb der unterschiedlichen Anwendungsfelder der Biotechnologie. Die „rote“ Biotechnologie ist mit einem Anteil von zwei Dritteln und einer Gesamtsumme von 2,08 Mrd. Euro weiterhin der bedeutendste Umsatzbringer, im Vergleich zum Vorjahr zeigte sie ein deutliches Plus von 7,1 %. Auch die industrielle Biotechnologie konnte 2014 erneut ein Umsatzwachstum vorweisen. Hier stiegen die Zahlen um fast 4 % auf 214 Mio. Euro (2013: 206 Mio. Euro). Ebenfalls positiv entwickelt sich der Markt für Firmen mit nicht-spezifischen Dienstleistungen (676 Mio. Euro), diese konnten ihren Umsatz um 2,3 % steigern. Einen noch größeren Sprung konnten die Bioinformatik-Firmen (36 Mio. Euro) vorweisen. Sie erwirtschafteten ganze 28 % mehr als 2013. Im Gegensatz dazu befindet sich die Pflanzenbiotechnologie weiter im Negativ-trend: Im Jahr 2012 betrug der Umsatz dieser Firmen noch 44 Mio. Euro, 2014 lag er bei 30,5 Mio. Euro.
Die wirtschaftliche Bedeutung der Biotechnologie ist allerdings wesentlich größer, als aus dem Umsatz der dedizierten Firmen hervorgeht. Ein weitaus größerer Teil der mit Hilfe biotechnologischer Verfahren erzielten Umsätze – etwa mit Biopharmaka, Diagnostika oder Reagienzien – wird in den 131 sonstigen biotechnologisch aktiven Unternehmen erwirtschaftet. Dieser wird im Rahmen dieser Umfrage aber nicht erfasst. Insbesondere in der Medizin gehören Biotech-Medikamente zu den umsatzstärksten Arzneimitteln, aber auch in der Chemie und in anderen Sektoren wie der Kosmetikindustrie erzielen Biotech-Produkte bereits hohe Umsätze.
Das Plus bei den F&E-Ausgaben ist vor allem auf die Firmen in der medizinischen Biotechnologie zurückzuführen. Mit 773 Mio. Euro trugen diese Unternehmen den Großteil der F&E-Kosten in der deutschen Biotech-Branche (2013: 720 Mio. Euro). Im Vergleich zum Vorjahr ist dies ein Plus von 7,4 %.
Wenig Bewegung gab es indes bei den Unternehmen der industriellen Biotechnologie: Ihr F&E-Budget lag im Jahr 2014 (47 Mio. Euro) auf ähnlichem Niveau wie im Vorjahr (2013: 48 Mio. Euro). Eine ähnliche Situation gab es bei den Unternehmen im Bereich nicht-spezifischer Dienstleistungen. Ihre F&E-Ausgaben lagen 2014 (106 Mio. Euro) auf dem gleichen Niveau wie 2013. Im Bereich Pflanzenbiotechnologie machte sich erneut der rückläufige Trend bemerkbar: Statt 16 Mio. Euro (2013) wurden im Jahr 2014 nur noch 15 Mio. Euro investiert (- 9 %).
Methodik
Im Dezember 2004 hat die OECD die Vielzahl der existierenden Definitionen für die Biotechnologie harmonisiert. Seitdem sind alle OECD-Länder aufgerufen, Erhebungen zur Biotechnologie am sogenannten Framework for Biotechnology Statistics zu orientieren (www.oecd.org). Die OECD unterscheidet innerhalb der Biotech-Branche zwei unterschiedliche Kategorien von Unternehmen: „dedizierte Biotechnologie-Unternehmen“ auf der einen Seite und „sonstige biotechnologisch-aktive Unternehmen“ auf der anderen Seite. Erstere sind laut der OECD-Definition biotechnologisch aktive Unternehmen, deren wesentliche Unternehmensziele die Anwendung biotechnologischer Verfahren zur Herstellung von Produkten oder der Bereitstellung von Dienstleistungen oder der Durchführung biotechnologischer Forschung und Entwicklung sind.
Im Gegensatz zu dieser Art von dedizierten Biotech-Unternehmen liegt das wesentliche Unternehmensziel eines „sonstigen biotechnologisch aktiven Unternehmens“ nicht ausschließlich in der Anwendung biotechnologischer Verfahren. Die OECD beschreibt damit Unternehmen, bei denen die Biotechnologie nur einen Teil des Geschäfts- und Tätigkeitsfeldes ausmacht. Diese Unternehmen werden definiert als biotechnologisch aktive Unternehmen, die biotechnologische Verfahren zum Zwecke der Eingliederung neuartiger oder wesentlich verbesserter Produkte oder Herstellungsprozesse anwenden. Dabei müssen die wesentlichen Unternehmensziele nicht ausschließlich in der Anwendung biotechnologischer Verfahren zur Herstellung von Produkten oder der Bereitstellung von Dienstleistungen oder der Durchführung biotechnologischer Forschung und Entwicklung bestehen, wie beispielsweise bei Pharma- und Chemieunternehmen oder Saatgutherstellern.
Für die Zwecke dieser Umfrage hat biotechnologie.de einen Fragebogen erarbeitet, der auf den zuvor erläuterten OECD-Definitionen beruht. Zwischen Januar und März 2015 wurden insgesamt 774 Unternehmen angeschrieben. Die Auswahl der für die Erhebung angeschriebenen Unternehmen erfolgte unter Berücksichtigung der OECD-Definition in Abgleich mit der Unternehmensdatenbank der BIOCOM AG. 536 der befragten Unternehmen antworteten entweder per Fragebogen oder nach telefonischer Rückfrage. Die Rücklauf- bzw. Verifizierungsquote beträgt damit 72 %.
Entsprechend den OECD-Richtlinien wurde bei der Auswahl der Firmen darauf geachtet, alle Unternehmen zu erfassen, die sich in Deutschland mit Biotechnologie beschäftigen und hierzulande ansässig sind. Deshalb wurden auch solche Firmen berücksichtigt, die sich im Mehrheitsbesitz eines nicht-deutschen Mutterkonzerns befinden, aber in Deutschland F&E-Aktivitäten haben. Bei der Erfassung der Arbeitsplätze, Geschäftszahlen und Geschäftsfelder wurde die Befragung nur für die deutschen Standorte eines Unternehmens durchgeführt. Hat ein Unternehmen mehr als einen Standort in Deutschland, wird es nur einmal mit entsprechend kumulierten Werten berücksichtigt.
Hinsichtlich der klinischen Pipeline wurde darauf geachtet, die Schwerpunktaktivitäten der dedizierten Firmen zu erfassen – vor allem in der frühen Phase, wenn viele Wirkstoffe in unterschiedlichsten Indikationen und Fomulierungen getestet werden. Vor diesem Hintergrund werden in der Phase I und II nicht sämtliche F&E-Projekte der Firmen gezählt, sondern die Gesamtzahl der im Test befindlichen Wirkstoffe. Bei der Zählung und dem Vergleich von Neugründungen wird zudem darauf geachtet, den aktuellen Stand stets mit dem Wissen vom Vorjahreszeitraum zu vergleichen. Nur so ergibt sich ein kohärentes Bild, da durch den langwierigen offziellen Gründungsprozess im Jahresverlauf stets eine Vielzahl von Firmen hinzukommen, die ebenfalls das Vorjahr als Gründungsjahr angeben.
Stichtag für die Befragung war der 31.12.2014, bei den Neugründungen der 31.3.2015. Alle in der Umfrage berücksichtigten Unternehmen sind in der Biotechnologie-Datenbank des Informationsportals biotechnologie.de einsehbar. Die veröffentlichten Angaben beruhen auf den Ergebnissen der Umfrage.
Ausblick
Die Entwicklung der Biotechnologie in Deutschland über die vergangenen Jahre zeigt, dass sich am Standort eine hochinnovative Branche etabliert hat. Noch nie wurde hierzulande so viel Geld mit Biotechnologie verdient und noch nie waren so viele Menschen in der Biotech-Branche beschäftigt. Dies zeigt: Die Nachfrage nach biobasierten Verfahren, Produkten und Dienstleistungen in der Industrie ist über die Jahre hinweg kontinuierlich gestiegen, zugleich wurde die Entwicklung von Seiten der Bundesregierung gezielt unterstützt. So konnten sich in Wissenschaft und Wirtschaft entsprechende Kompetenzen aufbauen.
Die Biotechnologie hat sich im Rahmen der Bioökonomie ein festes Standbein erarbeitet, um die Nachhaltigkeitsbemühungen in den verschiedensten industriellen Sektoren weiter voranzutreiben. Sie spielt aber auch mit Blick auf neue Medikamente und Diagnostika eine wichtige Rolle, egal ob für die Behandlung von Volkskrankheiten oder seltenen Erkrankungen. Biotechnologische Präparate gehören zu den Blockbustern der Pharmaindustrie, seit Jahren steigt die Anzahl der Neuzulassungen in diesem Feld kontinuierlich. Dies spiegelt sich auch in der deutschen Biotech-Branche wider: Die meisten hiesigen Firmen sind im Gesundheitssektor aktiv. Angesichts hoher Investitionskosten für Forschung und Entwicklung (F&E) sowie langer Entwicklungszeiten haben sie jedoch mit besonderen Herausforderungen zu kämpfen.
Vor allem die Sorge um ausreichende finanzielle Mittel ist ein steter Begleiter der Branche. Das Jahr 2014 könnte in dieser Hinsicht aber einen Wendepunkt einläuten. Die aktuellen Kennzahlen belegen, dass das weltweit positive Investitionsklima für Biotech-Firmen inzwischen auch in Deutschland angekommen ist. Zwar gibt es hier nach wie vor Nachholbedarf bei den steuerlichen Rahmenbedingungen für Investitionen und auch die Bereitschaft, Geld in risikoreiche Projekte zu stecken, ist hierzulande geringer ausgeprägt als anderswo. Dennoch stehen die Zeichen auf Hoffnung: 2014 wurde die höchste Summe an finanziellen Mitteln seit 2011 eingeworben. Zudem ist die Investorenschaft deutlich diversifizierter als noch 2013, was für eine sinkende Dominanz der Family Offices spricht. Dafür erstarken andere Geldgeber: Die deutsche Pharma-Industrie geht verstärkt Kooperationen mit hiesigen Biotech-Firmen ein, wie die Beispiele MorphoSys (Merck) und Curevac (Boehringer) gezeigt haben. Die Entwicklungen im Frühjahr 2015 bestätigen zudem die Tatsache, dass deutsche Firmen für ausländische Investoren attraktiv sind. Erstmals wurden zudem erfolgreich alternative Finanzierungsformen wie Crowdinvesting genutzt. Immer mehr Bewegung gibt es an der Börse. Hier bleibt zu hoffen, dass sich auch der Börsenplatz Frankfurt wieder für Biotech-Neuzugänge öffnet.