Daten & Fakten zur Biotech-Branche 2022

Wie steht es um die deutsche Biotechnologie-Branche? Wie entwickeln sich die wichtigsten wirtschaftlichen Kennzahlen wie Umsatz, F&E-Investitionen, Mitarbeiter oder Finanzierung? Wie sieht es mit der Gründungsdynamik und den inhaltlichen Tätigkeitsschwerpunkten der Branche aus? Diese Rubrik liefert einen umfassenden Einblick in zentrale Daten und Fakten zu börsennotierten und privaten Biotech-Unternehmen in Deutschland.

Wie steht es um die deutsche Biotechnologie-Branche? Wie entwickeln sich die wichtigsten wirtschaftlichen Kennzahlen wie Umsatz, F&E-Investitionen, Mitarbeiter oder Finanzierung? Wie sieht es mit der Gründungsdynamik und den inhaltlichen Tätigkeitsschwerpunkten der Branche aus? Diese Rubrik liefert einen umfassenden Einblick in zentrale Daten und Fakten zu börsennotierten und privaten Biotech-Unternehmen in Deutschland.

Kennzahlen der deutschen Biotech-Branche

Der seltene Fall eines Kollateralnutzens: Die verheerende Corona-Pandemie katapultierte die die deutsche Biotechnologie-Branche in die Wahrnehmung von Öffentlichkeit und Kapitalmärkten. Der von der Mainzer BioNTech entwickelte mRNA-Impfstoff erwies sich als hochwirksam und ebnete den Weg für breit angelegte Impfkampagnen auf der ganzen Welt – nur so war es möglich, die Seuche zu überwinden. Die Pandemie stärkte das Bewusstsein für die Bedeutung der biotechnologischen Forschung, Entwicklung und Produktion, was die Investitionstätigkeit ankurbelte und zu einem beschleunigten Wachstum der Biotech-Branche führte.


Im Jahr 2022 fielen die Investitionen zwar wieder deutlich geringer aus als im Vorjahr und durch das Abklingen der Pandemie und damit einer deutlich geringeren Nachfrage nach dem Covid-Impfstoff Comirnaty brach auch der Branchenumsatz ein, allerdings weniger stark als erwartet.


Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung hingegen stiegen auf eine neue Rekordhöhe. Insgesamt 3,33 Mrd. € investierten die Biotech-Unternehmen – allein drei Milliarden Euro flossen aus dem Gesundheitssektor in die Erforschung neuer Wirkstoffe, Technologien und Produkte beziehungsweise in die Verbesserung bestehender Innovationen. Zahlen, die für das starke Selbstbewusstsein der Branche sprechen. Auch konnten weiter qualifizierte Mitarbeiter akquiriert werden und trotz des schwierigen wirtschaftlichen Umfelds blieb die Gründungsdynamik ungebrochen.


Dies belegen die Ergebnisse der Biotechnologie-Firmenerhebung 2023 der BIOCOM AG, die im Frühjahr die Kennzahlen des Jahres 2022 erhoben hat. Seit 37 Jahren analysiert BIOCOM die Entwicklung der Biotechnologie-Branche in Europa. Seit 2005 werden die jährlich erhobenen wichtigsten Kennzahlen der deutschen Biotechnologie-Unternehmen nach den Kriterien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) international vergleichbar gemacht. Lediglich 2020 wurde die Datenerhebung aufgrund von COVID-19 ausgesetzt. Die im Folgenden genannten Zahlen und Grafiken beziehen sich auf solche Firmen, die von der OECD als „dedizierte“ Biotech-Unternehmen definiert werden.


Wenn auch der größte Teil der Branche im Gesundheitssektor aktiv ist, so wird in Deutschland doch auch an biotechnologischen Innovationen in anderen Bereichen gearbeitet. In der industriellen oder „weißen“ Biotechnologie gibt es vielversprechende Ansätze, um den Herausforderungen des Klimawandels wirksam entgegenzutreten. Alternative Proteine beispielsweise gewinnen immer mehr an Bedeutung, da sie verschiedene Vorteile in sich vereinen: sie leisten einen maßgeblichen Beitrag zur Nahrungsversorgung der wachsenden Weltbevölkerung, reduzieren den Verbrauch an Ressourcen und stoppen das Tierleid. Auch an der Entwicklung von Mikroorganismen, die in der Lage sind, Kohlenstoffdioxid abzubauen und dadurch zur Verringerung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre beizutragen, wird gearbeitet. Im Bereich nachhaltiger Verpackungen und Materialien bieten biotechnologische Anwendungen ebenso innovative und klimafreundliche Lösungen wie im Bereich nachhaltiger Textilien oder bei Waste-to-Value-Ansätzen in einer Circular Economy.




Umsatzentwicklung der deutschen Biotech-Unternehmen

Die Biotechnologiebranche in Deutschland hat in den letzten Jahren ein kontinuierliches Wachstum erzielt. Wie erwartet, konnte der Umsatz des Jahres 2021 jedoch nicht weiter gesteigert werden. Durch das Abklingen der Pandemie und der damit einhergehenden geringeren Nachfrage nach dem COVID-19-Impfstoff wurden bereits im Vorfeld deutliche Umsatzeinbrüche prognostiziert. Tatsächlich musste BioNTech einen Umsatzrückgang um 1,5 Mrd. € hinnehmen. Die Umsatzkurve der Branche fiel somit das erste Mal seit 2013 wieder etwas ab (-4%).


Verglichen mit 2021 ist der Umsatz der 776 dedizierten Biotech-Unternehmen im Jahr 2022 auf 25,4 Mrd. € gesunken. Vergleicht man jedoch die beiden Jahre, ohne den Umsatz von BioNTech zu berücksichtigen, stieg der Umsatz von 7,5 Mrd. € im Jahr 2021 auf 8,1 Mrd. €. Das entspricht einem Wachstum von mehr als 8% und zeigt, dass viele deutsche Biotech-Unternehmen inzwischen einen hohen Reifegrad erreicht haben und sich selbst im schwierigen wirtschaftlichen und geopolitischen Umfeld behaupten konnten.


Der Gesundheitssektor verzeichnete zwar ein Minus, steuerte aber dennoch den größten Teil zum Gesamtumsatz der Branche bei (22,6 Mrd. €, -6,3%). Der Bereich der nicht-spezifischen biotechnologischen Dienstleistungen (2,27 Mrd. €; +22,9%) konnte erneut deutlich zulegen und auch die Unternehmen mit Schwerpunkt auf industrieller Biotechnologie (433 Mio. €, 8,6%) erzielten ein Umsatzplus.


Tätigkeitsbereiche der deutschen Biotech-Unternehmen

Die Entwicklung von Medikamenten oder neuen diagnostischen Methoden steht nach wie vor im Fokus der meisten Biotech-Unternehmen in Deutschland. Etwas mehr als die Hälfte der Firmen (51%) konzentrieren ihre Aktivitäten auf den Gesundheitssektor, indem sie entweder neue Therapeutika, Diagnostika oder Impfstoffe entwickeln oder an dafür relevanten Technologieplattformen arbeiten. Etwas mehr als ein Viertel (218 Unternehmen, 28%) der Unternehmen erbringt biotechnologische Dienstleistungen und etwas mehr als 12,4% (96 Unternehmen) beschäftigen sich mit industrieller Biotechnologie. Nur ein kleiner Teil (18 Unternehmen, 2,3%) der deutschen Biotech-Unternehmen ist in der Agrarbiotechnologie tätig. 49 Firmen (6,3%) fokussieren sich auf die Bioinformatik.



Fokus auf medizinische Biotechnologie

Die Entwicklung von Medikamenten, Impfstoffen oder von neuen diagnostischen Methoden steht – nicht nur hierzulande – im Fokus der meisten Biotech-Unternehmen. 395 Firmen (51%) sind dem Feld der „roten“ Biotechnologie zuzurechnen. Sie konzentrieren sich auf die Entwicklung von Medikamenten, Impfstoffen, neuen diagnostischen Methoden und die personalisierte Medizin. In der medizinischen Biotechnologie sind 19.540 Mitarbeiter beschäftigt und es wurden insgesamt 22,6 Mrd. € (-6,2%) umgesetzt. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung beliefen sich auf 3,02 Mrd. € (+18,8%).


Insgesamt 70 Unternehmen in Deutschland hatten 2022 bereits ein oder mehrere Produkte ab der klinischen Phase I in ihrer Pipeline. Diese Zahl wächst langsam, aber stetig – das ist nicht verwunderlich, denn Medikamentenentwicklung ist langwierig, teuer und damit für kleine bis mittelständische Biotech-Unternehmen schwer zu stemmen.


Wie viel Potenzial in einer Technologie oder einem Forschungsansatz steckt und welchen Reifegrad ein Unternehmen der medizinischen Biotechnologie bereits erreicht hat, das wird gemeinhin an der Anzahl der Wirkstoffkandidaten und dem Status ihrer klinischen Entwicklung sichtbar. Jeder Schritt und jede Phase haben ihre besonderen Hürden, mit jeder weiteren Entwicklung sind oftmals größere Investitionen und ein höheres Risiko verbunden. Denn ob in Deutschland oder anderswo: Nach Expertenschätzungen kostet die Entwicklung eines neuen Medikaments inzwischen ein bis drei Milliarden Euro und dauert zehn bis fünfzehn Jahre. Und dabei schafft es nur einer von 10.000 Wirkstoffen überhaupt von seiner Entdeckung bis zum Markt.


Dienstleistungen und industrielle Biotechnologie auf dem Vormarsch

Mit 218 Unternehmen und mehr als 11.000 Mitarbeitern bildet der Bereich der nicht-spezifischen biotechnologischen Dienstleistungen die zweitgrößte Säule der deutschen Biotech-Branche. In diesem Segment finden sich alle Unternehmen, die Geräte und Reagenzien oder Dienstleistungen anbieten, die überwiegend auf biotechnologischen Grundlagen basieren. Dazu gehören aber auch Auftragsforscher und Biomanufacturing-Experten. Im Jahr 2022 konnten diese Unternehmen ihren Umsatz erneut kräftig steigern. Mehr als zwei Milliarden Euro Umsatz (2,27 Mrd. €) wurden in diesem Segment erzielt, was einer Steigerung von 23% gegenüber 2021 (1,84 Mrd. €) entspricht. Auch die F&E-Ausgaben (194 Mio. €) sind gegenüber 2021 noch einmal angestiegen, obgleich nur um 5,4%. Knapp ein Drittel (32,5%) aller Beschäftigten in der Biotech-Branche arbeiteten in diesem Segment. Die Mitarbeiterzahl konnte, nach der starken Zunahme in 2021 (17%), noch einmal um 13% zulegen und ist 2022 auf 11.200 Beschäftigte angestiegen (2021: 9.890 Beschäftigte). Dieses Segment zeigt seit Jahren ein kontinuierliches Wachstum innerhalb der deutschen Biotech-Branche.


Industrielle Biotechnologie

Industrielle Anwendungen für verschiedene Branchen entwickeln 96 Biotechnologie-Unternehmen (2021: 77 Unternehmen) in Deutschland. Dieses Segment verzeichnete im Jahr 2022 den größten Zuwachs an neuen Unternehmen. Wenig überraschend in Zeiten des Klimawandels – birgt die industrielle Biotechnologie doch enormes Potenzial zur Transformation. So kann sie beispielsweise herkömmliche Produktionsverfahren ersetzen oder optimieren. Durch den Einsatz von Mikroorganismen, Enzymen oder biotechnologisch hergestellten Materialien können umweltfreundlichere und nachhaltigere Prozesse entwickelt werden. Die Biotechnologie ermöglicht die Nutzung biobasierter Rohstoffe anstelle fossiler Brennstoffe und nicht erneuerbarer Ressourcen. Durch den Einsatz von Mikroorganismen können Schadstoffe abgebaut, biologische Abwässer gereinigt und kontaminierte Böden oder Gewässer saniert werden. Biotechnologische Verfahren ermöglichen auch eine effizientere Abfallbehandlung und -entsorgung. Außerdem kann die industrielle Biotechnologie dazu beitragen, die Lebensmittelproduktion zu steigern und die Ernährungssicherheit zu verbessern. Die Präzisionsfermentation beispielsweise bietet innovative Lösungen für ernährungsbezogene Herausforderungen und Nachhaltigkeitsprobleme. Es werden bereits verschiedene Produkte mit Hilfe der Präzisionsfermentation entwickelt, darunter Milchersatzprodukte, funktionelle Inhaltsstoffe und andere innovative Lebensmittel.


Nicht nur die Zahl der Unternehmen in der industriellen Biotechnologie ist 2022 um 25% gewachsen, auch die die Zahl ihrer Beschäftigten stieg um fast 19% auf 2.550 (2020: 2.150 Mitarbeiter). Die Umsatzkurve zeigt nicht ganz so steil nach oben, dennoch konnte ein Umsatzplus (433 Mio. €, +8,6%) verzeichnet werden – deutlicher stiegen die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung, und zwar um knapp 14% auf 81,5 Mio. €.


Agrobiotechnologie stabil auf niedrigem Niveau

Die Anwendung der Biotechnologie in der Pflanzenzüchtung und in der Landwirtschaft ist im Laufe der Jahre aufgrund strenger Regularien und der allgemeinen Skepsis insbesondere gegenüber der grünen Gentechnik zurückgegangen. Seit 2015 hat sie sich auf niedrigem Niveau stabilisiert. 2022 waren 18 Unternehmen in diesem Segment aktiv, eines mehr als 2021. Auch die Zahl der Mitarbeiter variiert nur gering und blieb im Vergleich zum Jahr 2021 unverändert bei 400 Beschäftigten. Umsatz und F&E-Ausgaben hingegen sind leicht gesunken (Umsatz: 37, 9 Mio. €, -3,1%; F&E: 15,5 Mio. €, -4,9%). Eine Trendwende könnte hier gelingen, wenn im Frühsommer 2023 die Europäische Union ihre Einstufung der neuen molekularen Züchtungsmethoden (zum Beispiel CRISPR/Cas) als Gentechnik revidiert.


Bioinformatik gewinnt an Bedeutung

Eine stetig wachsende Zahl an Unternehmen (2022: 49 Unternehmen, +16,7%) beschäftigt sich vorrangig mit Bioinformatik: ein multidisziplinäres Forschungsfeld, das Methoden aus Informatik, Statistik und Biologie kombiniert. Moderne Hochdurchsatzverfahren erfordern die systematische Erfassung und Analyse immer größerer, medizinisch relevanter Datenmengen. Die Informationswissenschaften liefern den Hebel, um das Potenzial dieser Daten für prognostische, diagnostische und therapeutische Anwendungen zu nutzen. Aber auch in anderen Bereichen, etwa bei der Phänotypisierung oder der Präzisionszüchtung, erfordern neueste Verfahren eine immer umfassendere Auswertung von Daten.

In den 49 Unternehmen waren 700 Personen beschäftigt, fast 30% mehr als 2021. Ihr Umsatz stieg um 5,1% auf 2,27 Mio. €; die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung kletterten auf 17,3 Mio. € (+6,1%).


Ausgaben für Forschung & Entwicklung

Auch im Jahr 2022 stiegen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) in der Biotechnologie in Deutschland weiter an und überschritten, nachdem erst zwei Jahre zuvor zum ersten Mal die Zwei-Milliarden-Marke geknackt wurde, die Drei-Milliarden-Marke – 3,33 Mrd. € wurden in F&E investiert, ein Anstieg um 17,6% gegenüber 2021.


Die F&E-Aufwendungen der „roten“ Biotechnologie-Unternehmen machten über 90% der gesamten Forschungsausgaben der Branche aus; innerhalb des Sektors stiegen sie um knapp 19% von 2,54 Mrd. € in 2021 auf 3,02 Mrd. €.


Etwa die Hälfte der Forschungsaufwendungen (51%) in diesem Sektor wurde jedoch vom Mainzer Impfstoffspezialisten BioNTech geleistet. BioNTech investierte im Jahr 2022 1,54 Mrd. €, das sind 62% mehr als 2021 (957 Mio. €) in die Entwicklung und Produktion der an Omikron angepassten bivalenten COVID-19-Impfstoffe sowie in die Entwicklung weiterer Pipeline-Kandidaten. Komplett gegensätzlich verlief die Entwicklung der Forschungsausgaben jedoch bei CureVac, einem weiteren Pionier auf dem Gebiet der mRNA-basierten Technologien, dessen Impfstoff jedoch nicht die gewünschte Wirkung zeigte. Während CureVac 2021 noch 853 Mio. € in die Forschung investierte, waren es 2022 lediglich knapp 63 Mio. €.


Betrachtet man die F&E-Ausgaben unter Ausschluss dieser beiden Unternehmen, ergibt sich nahezu eine Verdoppelung des Forschungsbudgets im Bereich der medizinischen Biotechnologie. Die restlichen 393 Unternehmen gaben 1,42 Mrd. € für Forschung und Entwicklung aus, 2021 waren das lediglich 742 Mio. €. Das zeigt, dass die Unternehmen noch über ausreichend Mittel verfügen, die in den vergangenen beiden Jahren eingesammelt wurden.


Auch in fast allen anderen Biotech-Segmenten sind trotz des schwierigen wirtschaftlichen Umfelds die F&E-Ausgaben gestiegen. Im Bereich der industriellen Biotechnologie stiegen die Forschungsausgaben um fast 14% auf 81,5 Mio. €. Die biotechnologischen Dienstleister beziehungsweise die Unternehmen aus dem Bereich Bioinformatik legten um 5,4% bzw. 6,1% (194 Mio. € bzw. 17,3 Mio. €). Einzig bei den Agrobiotech-Unternehmen stagnierten die Aufwendungen für F&E (15,5 Mio. €).


Gründungsdynamik

Schrumpfende Wirtschaft, hohe Inflationsraten – Gründungswillige in der Biotechnologie konnte das offenbar nicht beeindrucken. Im vergangenen Jahr konnte ein regelrechter Gründungsboom beobachtet werden. Nach Ablauf des ersten Quartals 2023 waren bereits 30 Neugründungen für das Jahr 2022 bekannt. Diese hohe Zahl blieb in den vergangenen zehn Jahren unerreicht. Im vergangenen Jahr konnten zum gleichen Zeitpunkt lediglich 21 Start-ups gezählt werden. Da viele Gründungen erfahrungsgemäß über den Jahresverlauf noch rückwirkend für das Vorjahr bekannt werden, ist von einer deutlich höheren tatsächlichen Gründungszahl auszugehen.


Wie bereits in den vergangenen Jahren dominierten bei den Gründungen erneut Start-ups aus dem medizinischen Bereich (13), dicht gefolgt von Unternehmen aus dem Bereich der industriellen Biotechnologie (10). Die Nachfrage nach nachhaltigen Lösungen im Kampf gegen Welthunger und Klimawandel löste eine wahre Gründungswelle in diesem Bereich aus. Newcomer sind vor allem Unternehmen, die in der sogenannten zellulären Landwirtschaft tätig sind. Sie züchten tierische Produkte direkt aus Zellen oder mithilfe von Mikroorganismen und setzen zudem stark auf die Möglichkeiten der Präzisionsfermentation. Fisch, Fleisch oder Molkereiprodukte können damit künftig im Labor hergestellt werden, statt Nutztiere aufzuziehen und zu schlachten. Somit werden nicht nur neue Lebensmittel erzeugt und das Klima entlastet, sondern auch Landnutzungskonflikte entschärft. Weideland und die Flächen zum Futteranbau könnten zur Nahrungsmittelerzeugung für eine wachsende Weltbevölkerung erschlossen werden, der weitere „Verbrauch“ der verbliebenen Naturflächen würde zugunsten der Biodiversität vermieden.


Vier Start-ups kamen aus dem Bereich der Bioinformatik, zwei widmen sich nicht-spezifischen biotechnologischen Dienstleistungen und ein Unternehmen wurde im Bereich Agrobiotechnologie gegründet.


Finanzierungsquellen im Überblick

Nach der hohen Investitionsbereitschaft der Pandemiejahre flachte das Investitionsvolumen 2022 wieder auf das Niveau der Jahre vor der Pandemie ab. Zum einen waren viele Unternehmen noch mit ausreichenden Mitteln versorgt, zum anderen ließ auch die Investitionsbereitschaft nach. Die Zurückhaltung der Investoren war sicher auch der allgemein schwierigen wirtschaftlichen Lage geschuldet.


Im Jahr 2022 konnten die deutschen Biotech-Unternehmen insgesamt 957 Mio. € einwerben – das sind zwar lediglich 44% der Vorjahressumme, gemessen an den Investitionen der Vor-Corona-Zeit war es jedoch die zweithöchste Summe zwischen 2006 und 2019; lediglich 2018 konnten die Unternehmen mehr als 1 Mrd. einwerben.


Die börsennotierten Unternehmen erzielten in zehn Kapitalerhöhungsrunden 482 Mio. €. Die privaten Firmen kamen auf eine ähnlich hohe Summe, 475 Mio. €. Da die Investitionsbeträge, darunter auch einige Seed- und Pre-Seed-Runden, im Durchschnitt jedoch deutlich niedriger waren, profitierten 32 Unternehmen.



Top-Finanzierungen über die Börse

Im April 2022 gab die an der Nasdaq notierte Affimed NV mit Hauptsitz in Heidelberg den Abschluss einer Kapitalerhöhung über 95 Mio. € bekannt; eine ähnlich hohe Summe konnte das Unternehmen bereits 2021 vermelden. Affimed entwickelt innovative therapeutische Antikörper in der Immunonkologie. Durch die Reaktivierung der körpereigenen Abwehrmechanismen sollen Krebszellen bekämpft werden. Zwei Medikamentenkandidaten werden in einer Reihe von Studien, die auf verschiedene Krebsarten abzielen, getestet.


Die ebenfalls im Rhein-Neckar-Gebiet ansässige Heidelberg Pharma AG, die an der Frankfurter Börse notiert ist, konnte im August eine Kapitalerhöhung über rund 80 Mio. € erfolgreich platzieren. Der Erlös soll im Wesentlichen für die Durchführung der laufenden Phase I-Studie mit HDP-101 sowie für die Weiterentwicklung der Folgeprojekte HDP-102 und HDP-103 und der proprietären ATAC®-Technologie verwendet werden.


Weitere 113 Mio.€ flossen nach Baden-Württemberg. Eine Kapitalerhöhung der Immatics NV im Oktober 2022 spülte 113 Mio.€ in die Kassen des Unternehmens. Das war die größte Runde des Jahres 2022. Immatics ist ein Nasdaq-gelistetes Biotechnologie-Unternehmen mit Hauptsitz in Tübingen. Das Unternehmen arbeitet an zielgerichteten Immuntherapien gegen Krebs. Dazu werden tumorspezifische Zielstrukturen identifiziert und passende T-Zell-Rezeptoren (TCRs), die gezielt gegen den jeweiligen Tumor eingesetzt werden können, entwickelt.


Finanzierungen der privaten Biotech-Unternehmen

Die erst 2019 gegründete Tubulis GmbH, Planegg, gab im Mai 2022 den erfolgreichen Abschluss einer Serie-B-Finanzierungsrunde in Höhe von 60 Mio. € bekannt. Das neue Kapital soll verwendet werden, um Tubulis' Pipeline von Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten (ADCs) in Richtung der klinischen Bewertung voranzutreiben und Programme für eine Reihe von Indikationen für solide Tumore einzuführen.


Knapp 69 Mio. € gingen im Oktober in einer weiteren B-Runde an die Resolve BioSciences GmbH in Monheim. Das ebenfalls noch sehr junge Unternehmen, 2020 gegründet, bezeichnet sich selbst als Pionier der Molekularkartographie™-Technologie. Die Technologie von Resolve bietet die höchstauflösende Ansicht der subzellulären Einzelmolekülbiologie und ermöglicht es Forschern auf der ganzen Welt, neue Erkenntnisse in Bezug auf die COVID-19-Pathologie sowie die Neurologie, Onkologie und Entwicklungsbiologie zu gewinnen.


Eine Serie-C-Runde konnte die Martinsrieder CatalYm im November abschließen. Mit den eingeworbenen 51 Mio. € soll die klinische Entwicklung des Hauptkandidaten Visugromab – ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der den vom Tumor produzierten Wachstumsdifferenzierungsfaktor-15 (GDF-15) neutralisieren soll – vorangetrieben werden.


Biotech-Branche als Arbeitgeber


Die Zahl der Beschäftigten in dedizierten Biotech-Unternehmen ist im Jahr 2022 um 13,6% auf 34.390 gestiegen. Den höchsten Anstieg mit fast 30% gab es bei den Unternehmen im Bereich Bioinformatik, 2022 waren in diesem Bereich 700 Mitarbeiter beschäftigt. Fast 19% konnten die Unternehmen der industriellen Biotechnologie zulegen. Ihre Mitarbeiterzahl stieg von 2.150 im Jahr 2021 auf 2.550. Die Unternehmen aus dem Bereich der nicht-spezifischen biotechnologischen Anwendungen legten um etwas mehr als 13% zu (11.200 Mitarbeiter), gefolgt von knapp 13% im Gesundheitsbereich (19.540 Mitarbeiter). Die Mitarbeiterzahl im Bereich Agrobiotechnologie blieb unverändert bei 400.